Was ist Waldbaden?
Das Waldbaden ist keine Wanderung im Wald. Es ist aber auch nicht mit einem Spaziergang in freier Natur zu vergleichen, den man zu zweit oder in der Gruppe macht. Vielmehr geht es beim Waldbaden darum, zuallererst von Alltag und Beruf abzuschalten, um sich auf eine bewusste Wahrnehmung der Atmosphäre des Waldes einzustimmen.
Oberstes Ziel ist dabei, richtig zu entspannen, um sich spürbar zu erholen. Dadurch erfährt man tiefe Naturverbundenheit und genießt den Aufenthalt im Wald in voller Intensität. Und so gelangt man schließlich zur Regeneration von Körper und Seele, was ja der Zweck des Waldbadens ist.
Regeneration der physischen und psychischen Kräfte
Naturverbundenheit stellt sich beim Waldbaden relativ früh ein. Dafür beginnt das Waldbaden stets mit Entspannungsübungen, um das Alltags- und/oder Berufsleben bewusst beiseite zu schieben. Übungen zu unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen sowie abwechslungsreiche Achtsamkeits- und Meditationsübungen helfen anschließend, sich der Umgebung vollkommen zu öffnen und zu einem Zustand tiefer Naturverbundenheit zu gelangen.
Dauer eines Aufenthaltes im Wald
Manche Teilnehmer fühlen sich schon nach zwei bis drei Stunden richtig erholt. Andere haben das Bedürfnis länger im Wald zu bleiben. Sie möchten die wohltuende Waldästhetik nicht so schnell wieder verlassen. Ab vier Stunden Aufenthaltsdauer im Wald geht man allgemein davon aus, dass spürbare und nachhaltige Regeneration erreicht wird. Manche Menschen möchten dieses einzigartige Naturerlebnis am liebsten gar nicht mehr beenden. Das hängt sehr häufig damit zusammen, dass der Mensch in der Natur - und vor allem im Wald - Glücksgefühle empfindet. Denn der Wald wirkt auch stimmungsaufhellend auf die meisten Menschen. Vereinzelt kann es aber auch vorkommen, dass sich während eines Waldbadens Gefühle der Wehmut anstatt einer Stimmungsaufhellung bemerkbar machen. Daher ist es wichtig, sich vor dem Verlassen des Waldes auf die Welt da draußen behutsam vorzubereiten.
Nach einem Waldbaden sollte man weiter “achtsam” mit sich selbst umgehen und den restlichen Tag ohne Aufregung ausklingen lassen, um die Nachwirkungen des Waldbadens nicht unnötig abzuschwächen. Deshalb sollte man sich nach dem Waldbaden nicht zu viel vornehmen. Bei den meisten Menschen stellt sich ohnehin Müdigkeit ein, als hätten sie eine Tageswanderung hinter sich oder sich sportlich betätigt. Am besten sollte man sich nach einem ausgiebigen Aufenthalt im Wald so wenig wie möglich vornehmen.
Ursprung des Waldbadens
Der Wald tut den Menschen also gut. Aber woher kommt das? Und was weiß man über die positiven Effekte des Waldes auf den menschlichen Organismus, auf die Psyche? Und wie ist das Waldbaden als noch relativ neue Form der Naturerfahrung entstanden?
Bereits nach einem 30-minütigen Aufenthalt im Wald stellt sich der menschliche Körper auf die Atmosphäre des Waldes ein. Der Puls wird ruhiger, Bluthochdruck wird gesenkt, zu niedriger Blutdruck wird teilweise nach oben reguliert. Scheinbar schaltet der menschliche Körper im Wald wie von selbst auf Erholung um. Dies sind die ersten und mittlerweile allgemein bekannten Erkenntnisse, die auf Untersuchungen von japanischen Ärzten in den 1980er Jahren zurückgehen. Diese damals noch überraschenden Beobachtungen waren Anstoß für zahlreiche Studien, die bis heute weltweit stattfinden und die positiven Effekte eines Aufenthaltes im Wald erforschen.
Shinrin Yoku oder Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes
Schon in den 1980er Jahren entwickelte sich in Japan das sogenannte Shinrin Yoku - zu Deutsch “Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes” - zu einer Therapieform, mit der Ärzte nicht nur bei Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen, sondern auch bei bestimmten Formen von Depression oder Burn-Out-Syndromen und weiteren Erkrankungen nachhaltige Verbesserungen des körperlichen und seelischen Zustands ihrer Patienten erzielen.
Und tatsächlich kann ein therapeutisch eingesetzter Aufenthalt im Wald neben den herkömmlichen medizinischen Maßnahmen auch eine spürbare Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes von Patienten herbeiführen. Dass der Wald guttut, ist zwar mittlerweile vielfach wissenschaftlich nachgewiesen. Waldbaden ist aber kein Allheilmittel. Und nichts darf darüber hinwegtäuschen, dass Shinrin Yoku, ein seriös durchgeführtes Waldbaden oder ein professionelles Wald-Gesundheitstraining eine medizinisch notwendige Therapie niemals ersetzen können!
Was ist heute über das Waldbaden wissenschaftlich unumstritten?
Weltweit werden aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen Forschungsansätze verfolgt, um die Auslöser der positiven Einflüsse eines Waldaufenthaltes auf den menschlichen Körper zu ergründen. Vielfach werden die ätherischen Öle – sogenannte Phytonzide wie beispielsweise Terpene - zitiert, die Bäume als Schutz vor Schädlingen produzieren und in variierender Intensität in die Luft ihrer Umgebung streuen.
Diese Substanzen sind aber nicht in jedem Wald, in jeder Jahreszeit und zu jeder Tageszeit in gleicher Konzentration in der Waldluft vorhanden, während die positiven Effekte des Waldes auf den Menschen wohl fast immer zu beobachten sind. Demzufolge können ätherische Öle, deren höchste Konzentration in der Waldluft erst bei sommerlichen Temperaturen und/oder bei hoher Luftfeuchtigkeit erreicht wird, nicht allein für die gesundheitsfördernden Effekte des Waldes verantwortlich sein. Insbesondere in Nadelwäldern werden die höchsten Konzentrationen dieser Substanzen gemessen. Dort halten sich aber die wenigsten Menschen gerne länger auf. Und tatsächlich ist es so, dass die positive Wirkung des Waldes auch bei Menschen beobachtet werden, die sich in reinen Laubwäldern aufgehalten haben, wo die ätherischen Öle in etwas niedrigerer Form vorhanden sind. So ist die Wirkung der ätherischen Öle auf den menschlichen Körper bis heute nicht abschließend geklärt.
Eine wesentliche Feststellung ist in der Fachwelt jedoch unumstritten: in psychologischer und biologischer Hinsicht reagiert der Mensch fast immer positiv auf eine natürliche Umgebung wie die des Waldes. Der Anblick des Grünen und der Ästhetik des Waldes hat nachgewiesene Auswirkungen auf die Psyche. Die Psychoneuroimmunologie befasst sich deshalb mit dem Einfluss des natürlichen Grüns und der Atmosphäre des Waldes auf das Nervensystem. Denn dieses beeinflusst den Hormonhaushalt, was wiederum zur Stärkung der Abwehrkräfte führt.
Wer beim Waldbaden stundenlang die Seele baumeln lässt, baut nicht nur Stress ab. Denn bei vielen Menschen ruft der Wald tatsächlich Glücksgefühle hervor, was das Immunsystem nachweislich stärkt. Das Waldbaden ist zudem für einen gesunden Schlaf sehr förderlich: Wer sich vier Stunden im Wald entspannt hat, bewusst Naturerfahrungen über alle Sinne gemacht oder einfach unter einem Baum gesessen und in die Baumwipfel geschaut hat, der kann in der folgenden Nacht in der Regel besser und teilweise sogar länger schlafen.
Achtsamkeitsübungen im Wald zur Stressreduktion, sprich das Erleben des Waldes durch alle Sinneswahrnehmungen, den vielschichtigen Klangkosmos des Waldes, das Beschnuppern der Waldluft, des Waldbodens und das Ertasten der unterschiedlichen Materialien im Wald: all das schärft nicht nur unsere Sinne, sondern führt schneller zur Entspannung, zur physischen und psychischen Erholung und schließlich zu einer nachhaltigen Regeneration von Körper und Seele.
Waldtherapie auf Rezept oder “nur” Gesundheitsprävention?
Dem Waldbaden liegt das ursprüngliche Shinrin Yoku zugrunde. Und dieses wird in Japan als anerkannte Therapiemaßnahme - sprich als Waldtherapie - kurativ eingesetzt. Das bedeutet, dass Ärzte das Waldbaden auf Rezept verschreiben und dass sich ihre Patient:inen die Kosten für das Waldbaden von ihrer Krankenversicherung erstatten lassen können. Shinrin Yoku wird dort aber auch präventiv, d.h. auch als reine Gesundheitsprävention praktiziert.
In Deutschland sind wir leider noch nicht so weit. Deshalb wird Waldbaden hierzulande meistens als reine Gesundheitsprävention angeboten, die im Bereich des privaten Vergnügens bleibt. Die wenigsten Anbieter können Waldtherapie - sprich Waldbaden kurativ - durchführen. Im Übrigen dürften 2023 die allerwenigsten Krankenkassen die Kosten des Waldbadens freiwillig erstatten.
Ausgesprochene Waldtherapie ist in Deutschland also noch nicht sehr verbreitet. Das Waldbaden wird meistens lediglich zur Gesundheitsförderung - also als Gesundheitstraining - u.a. zur Stressreduktion angeboten. Trotzdem sollte man als Teilnehmende(r) die Mühe nicht scheuen und die Kosten für das Waldbaden seiner Krankenkasse vorlegen. Schließlich werden von den meisten Kassen Kosten für Aquafitness, autogenes Training, Ernährungsberatung, Nordic Walking, Yoga- und Tai-Chi-Kursen teilweise übernommen. Den feinen Unterschied macht allerdings das meistens nicht vorhandene Curriculum von Waldbaden-Führungen nach den Anforderungen der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP), die Angebote der Gesundheitsförderung im Auftrag der Krankenkassen prüft und als Maßnahmen der Gesundheitsprävention zulässt. Die meisten Anbieter von Lehrgängen und Weiterbildungen zum Waldbaden-Trainer schrecken noch davor zurück, den aufwändigen Antrag bei der ZPP einzureichen. Zudem müssten Waldbaden-Anbieter für jeden Kurs spezielle Curricula ausarbeiten, was wiederum mit viel Aufwand verbunden ist. De facto müssen sich 2023 in Deutschland die allermeisten Waldbaden-Anbieter und deren Teilnehmende weiterhin mit Geduld üben.
Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sich der Begriff “Waldbaden” als Übersetzung vom japanischen Shinrin Yoku etabliert hat. Schließlich klingt “Waldbaden” nicht so ernst, wie das, was es allerdings ist: nämlich Waldmedizin, wie sie übrigens in der relativ weit verbreiteten Naturmedizin schon lange praktiziert wird - man denke nur an die zu Therapiezwecken genutzte Thermoregulation des Körpers in der Kneipp-Therapie! So lassen sich die positiven Effekte eines Aufenthaltes im Wald unter professioneller Anleitung nicht mehr von der Hand weisen. Ärzte und Therapeuten, die sich intensiv mit dem Thema Waldtherapie und Waldmedizin auseinandersetzen, wissen das natürlich. Und sie bleiben glücklicherweise nicht tatenlos.
Ausblick in eine Waldmedizin. Der Wald als Ort therapeutischer Behandlung
Dank der Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie eröffnen sich viele neue Wege. Kardiologen, Neurologen, Therapeuten, Psychologen und Waldpädagogen nutzen diese Erkenntnisse. Viele von ihnen arbeiten an der Umsetzung waldmedizinischer Therapiemaßnahmen, die begleitend zu den herkömmlichen, medizinisch notwendigen Therapien eingesetzt werden, soweit der Zustand des Patienten es zulässt. An der Gestaltung einzelner Bereiche von Krankenhausstationen in ein natürliches - oder gar waldähnliches - Ambiente können sich Patient:innen erfreuen. Siehe hierzu eine Pressemitteilung vom 03.08.2020 des Sankt Elisabeth Krankenhauses (Hohenlind) in Köln „Waldspaziergang im Krankenhaus“.
Manche Kliniken haben bereits ihr Therapieangebot auf Waldmedizin in Form von Waldbaden in umliegenden Wäldern erweitert. Mit gutem Beispiel geht die Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht voran.
Der WDR hat am 11.10.2021 in der Sendung „Servicezeit“ berichtet, dass das bereits zitierte Sankt Elisabeth Krankenhaus (Hohenlind) Walbaden praktiziert. In der WDR-Mediathek befindet sich ein Beitrag über die erfreuliche Weiterentwicklung dieser zukunftsweisenden Arbeit: „Fit und gesund: Waldmedizin“ zum Thema in der Sendung „Servicezeit“ vom 11.10.2021 ab [15:47 Min.]